Da kannst du dich auf den Kopf stellen

„Da kannst du dich auf den Kopf stellen, das gibt es nicht …“ hat meine Mutter früher manchmal gesagt, wenn ich unbedingt meinen Kopf durchsetzen wollte – vor dem Essen naschen, die neue Kleidung zum Spielen anlassen, mit dem Fahrrad zur Freundin fahren, länger fernsehen, lange aufbleiben … was Kinder so wollen, aber Eltern gar nicht gut finden.

Auch argumentieren, schmollen oder Tobsuchtsanfälle waren meist wenig erfolgreich zur Durchsetzung meiner Wünsche. Dieses Gefühl ohnmächtiger Wut in solchen Momenten – daran erinnere ich mich noch sehr gut.

Dieses Gefühl spüre ich auch jetzt manchmal in mir. „Da kannst du dich auf den Kopf stellen“ – mit Freunden essen gehen, ein Gartenfestival oder ein Konzert besuchen … das geht jetzt nicht.

Das Kind in mir ist einfach nur sauer und möchte am liebsten wie damals mit den Füßen aufstampfen. Nur ändert das nichts an der momentanen Krise. Die Stimme der Vernunft sagt mir natürlich, dass die Kontaktverbote sinnvoll sind und nicht so schnell gelockert werden dürfen, damit wir keine amerikanischen Verhältnisse bekommen. Und ich bemühe mich, einsichtig und verantwortungsbewusst entsprechend der Vorgaben zu handeln und dankbar dafür zu sein, wie gut wir es trotz aller Einschränkungen in Deutschland haben: Unser Gesundheitssystem ist nicht überlastet, wir haben weniger Tote zu beklagen und mehr Bewegungsfreiheit als andere Länder, können bald wieder Gottesdienst feiern …

Aber Verstand und Gefühl, „kindische“ Wünsche und vernünftiges Handeln liegen halt oft im Clinch. Als Kind habe ich mich dann manchmal damit getröstet „Wenn ich mal groß bin, dann mache ich alles, was ich jetzt nicht darf.“ Und dann war ich groß, und die meisten Dinge waren gar nicht mehr wichtig. Wahrscheinlich wird es uns „nach Corona“ ähnlich gehen – manches, was wir uns jetzt ersehnen, erscheint uns dann gar nicht mehr so verlockend, wenn es nicht mehr verboten ist. Oder es wird uns schnell wieder langweilig oder sogar lästig: Schon wieder erwartet die Verwandtschaft einen Besuch, häufen sich die Einladungen zum Grillen, stehen Vereinstermine an, wenn wir eigentlich gerne einen ruhigen Abend zuhause verbringen möchten usw.

„Da kannst du dich auf den Kopf stellen“ – im Leben kommt es meistens anders, als man es gerne hätte!

Armgard Diethelm