In den vergangenen Jahren sind sehr viele Menschen selig- oder heiliggesprochen worden – andere nicht – aber es gibt die wirklichen Heiligen, die über ein solches Procedere (das durchaus auch infrage zu stellen ist) erhaben sind.
Einer, für dessen Leben das gelten könnte, ist der Priester Franz Stock, den ich als eine große Gestalt des 20. Jh. als Vorbild für das 21. Jh. empfehlen möchte und der aus unserem Erzbistum stammte. Er wächst in einer kinderreichen Arbeiterfamilie im Sauerland auf, ist engagiert in der Jugendbewegung seiner Zeit und beginnt sein Theologiestudium. Tief bewegt von einem Friedenstreffen zwischen jungen Deutschen und Franzosen, den sog. Erbfeinden geht er für drei Semester nach Paris zum Studium. Ihn begeistert die französische Kultur und Lebensart und so ist es kein Zufall, dass er nach seiner Priesterweihe Rektor der katholischen deutschen Gemeinde in Paris wird. Er will versuchen, die Gräben zwischen den Nationen zu überwinden, in seinem kleinen Umfeld. Aber die Machtergreifung durch Hitler macht es zunehmend schwieriger, und mit dem Kriegsbeginn muss er schließlich zwangsweise Paris verlassen, arbeitet zwischenzeitlich wieder in seiner Heimat als Seelsorger, kehrt aber schon im Herbst 1940 nach Paris zurück.
Seine Gemeinde ist jetzt eine völlig veränderte, sie besteht im Wesentlichen aus Militärbediensteten. Die Militärbehörde ernennt ihn zum Standortpfarrer im Nebenamt und überträgt ihm die Seelsorge an den Häftlingen in nahegelegenen Wehrmachtsgefängnissen.
Damit wird er Seelsorger für gefangene französische Widerstandskämpfer, Juden und andere politische Häftlinge. Er steht zwischen den Fronten: Den Franzosen ist er als „deutscher Besatzer“ verdächtig, den Nationalsozialisten als Pfaffe und Franzosenfreund verhasst. Schließlich erklärt Hitler alle Franzosen zu Geiseln, die ohne Gerichtsurteil bei Sabotageakten und Attentaten zur Vergeltung erschossen werden können.
Von jetzt an begleitet Abbé Stock, wie er fortan genannt wird, ungezählte Menschen auf ihrem letzten Weg zur Hinrichtungsstätte. Er wird zum Freund dieser Menschen und es gelingt ihm, den Todgeweihten noch Nachrichten ihrer Familien zu überbringen. Und es gelingt ihm durch Intervention bei deutschen Dienststellen Exekutionen auszusetzen. Zahllose Nächte steht er betend mit den Todgeweihten durch, bis sie ihren letzten Weg gehen können.
Mehr als 2000 Menschen muss er zur Hinrichtung begleiten; dementsprechend erschütternd sind seine Aufzeichnungen. Es ist mehr als ein Mensch ertragen kann.
Nach der Befreiung von Paris wird dann aber er selbst zum Kriegsgefangenen. Und als solcher wird er 1945 für ein Priesterseminar hinter Stacheldraht für deutsche kriegsgefangene Theologen. In Chartres wird er 500 Studenten zum Vater.
1947 ist seine Mission zu Ende, aber Franz Stock bleibt Frankreich treu und baut die Seelsorge in Paris neu auf. Aber sein unermüdlicher Einsatz hat ihm die Kräfte geraubt und am 24. Februar 1948 stirbt er, der Tausenden das letzte Geleit gegeben hat, einsam und schon mit 43 Jahren aufgebraucht in einem Pariser Krankenhaus. In einem Massengrab und fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird der ‚Kriegsfeind‘ beigesetzt.
Dieser Mann war beseelt von der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen und ist sicherlich ein Brückenbauer zwischen den Nationen. Franz Stock steht in der Reihe der ganz Großen, weil er Gott in der Menschlichkeit gesucht und gefunden hat, weil er dadurch am Wunder der Aussöhnung und am Wunder Europa mitgewirkt hat. Der Name Franz Stock lebt fort über seinen Tod hinaus, und er ist – trotz bisher nicht erfolgter off. Heiligsprechung – ein Vorbild im Glauben auch für unsere Zeit.
Für Franz Stock gilt auch das, was der Religionskritiker, der Philosophie- und Wahrheitskritiker Friedrich Nietzsche 1872 schrieb: „Es ist wichtig, von solchen Menschen zu erfahren, dass sie einmal gelebt haben.“
Ein Beitrag von Pfarrer Wolfgang Sudkamp.
Portrait CCo: Abbé Franz Stock (1904-1948) Das Bild wurde aus dem Archiv des Franz-Stock-Komitees e.V. Arnsberg, Germany / Nachlass der Fam. Stock zur Verfügung gestellt und kann veröffentlicht werden.